Zazenhausen an der Wende des Jahrzehnts:

Dorflinde nicht mehr Mittelpunkt

Der Turnverein fusioniert - Die Schule muss schließen
Die Markung wird verkleinert - Die Bevölkerung schwindet

Das Jahr 1975 wird für Zazenhausen, den ältesten Stadtteil Zuffenhausens, zwei bedeutsame Ereignisse mit sich bringen. Der traditionsreiche Turnverein von 1907 wird sich mit dem jüngeren SV Rot zusammentun, und die Markungsfläche Zazenhausens wird sich um einige Hektar vermindern.

Beides sind Vorgänge, die den traditionsbewussten Zazenhäusern nicht arg passen, sind sie doch allein schon von ihrer geschichtlichen Herkunft älter als ihr Mutterstadtbezirk und zudem bis 1933 eine selbstständige Gemeinde gewesen. Schon die Römer saßen an diesem schönen Südhang am "Fluvius Biberbach", wie der Feuerbach noch in alten Urkunden hieß, und bereits 789 muss Zazenhausen eine Kirche, dem heiligen Nazarius geweiht, besessen haben, denn Helmuf und seine Gattin Bilihild taten ihr damals Schenkungen. Ihre Namen leben in heutigen Straßenbezeichnungen fort. Fünf schöne, große Bauernhöfe bildeten im Mittelalter den Kern des Weilers, und sie sind bis auf den heutigen Tag teilweise sogar noch im Besitz der gleichen Familien erhalten.

In einer solchen Gemeinde hält man auf Tradition. Sie dokumentiert sich schon rein äußerlich. Wo findet man noch eine Dorflinde, wohl aus dem Jahre 1750, im Mittel-punkt des Ortes, wo ein Kirchhofportal von 1594, wo eine idyllische Dorfkirche aus dem Jahr 1582. Ein Dorfbrunnen, aus einem einzigen Stück Muschelkalk gehauen, ziert den Ortsmittelpunkt, und wenn auch heute Blumen im Trog wachsen, so sieht man doch an ihm noch die Spuren des jahrhundertelangen Gebrauchs.

In solch einem Ort sind Veränderungen nicht alltäglich. 1894 mussten die Zazen-häuser es sich gefallen lassen, daß ein über 200 Meter langes Eisenmonstrum von Brücke für die neueröffnete Eisenbahn sich quer über ihr Tal spannte, und die damalige Stadt Zuffenhausen setzte ein Glaswerk genau in die Hauptwindrichtung an die Zazenhäuser Straße. Im letzten Krieg fand man keinen besseren Platz für eine Schweinemastanstalt als bei Zazenhausen - die Schrift vom "Ernährungshilfswerk" mit dem fetten Schwein ist heute, wenn auch schon verblichen, noch zu lesen. Neuen Ärger gab's in den letzten Jahren, als man die bisher vierklassige Volksschule, die der einzige Lehrer des Dorfes gut und ausreichend versah, im Zuge der Schulreform auf die beiden Unterklassen reduzierte, und es ist abzusehen, wann der Oberlehrer seine Schultüre für immer wird schließen müssen. Nicht nur, weil die Kinder vielleicht aus-bleiben, auch weil Reformen solche Kleinstbezirke wie Zazenhausen immer am härtesten treffen. Schon wartet in der Ferne eine Hauptverkehrsstraße nördlich von Zazenhausen vorbeigeführt zu werden und den Rest des noch wirtschaftlich zu nutzenden bäuerlichen Gebiets in zwei nicht mehr ertragreich genug zu bebauende Teile zu zerschneiden. Die sechs Vollerwerbslandwirte haben schon fast resigniert.

Dabei wäre Zazenhausen ein wirtschaftlicher Aufschwung zu können. Nicht nur weil brauchbar gelegene Baugrundstücke den schwindenden Bevölkerungszahlen wieder aufhelfen könnten, auch die gesamte Infrastruktur des Stadtteils könnte eine Aufmunterungsspritze vertragen. Gewiss gibt es Bäcker und Metzger, Drogerie und Lebensmittelgeschäft. Doch wer möchte gerne in einen Stadtteil ziehen, den man nur zu Fuß oder aber mit einem privaten Bus in aller Herrgottsfrühe verlassenen kann, um kaum mehr abends eine öffentliche Nahverbindung zurück zu finden. Gewiss gibt es einen Bahnhof, der an dem herrlichen Himmelsleiterweg liegt, doch hier führt nur eine Güterbahn vorbei.

So kommt es denn auch, daß Initiativen aus dem Kreis der Bewohner oft nicht mehr weiterkönnen. Der Gesangverein Frohsinn hat nach seinem 75jährigen Bestehen Sorgen wegen eines scheidenden Dirigenten und der Turnverein, der eine schöne Anlage mit aber nur einen Platz im Feuerbachtalgrund besitzt, kann aus eigener Kraft keine entsprechenden sportlichen Angebote mehr schaffen, sondern wird mit dem benachbarten jungen Sportverein Rot zusammengehen müssen. So werden die Zazenhäuser Jugendlichen eine bessere Möglichkeit breitensportlicher Betätigung finden und sogar ihre eigene Fußballmannschaft erhalten können.

Und den Zuzug von neuen Bewohnern wenigstens auf dem Papier wird nun die bevor-stehende Markungsänderung am nördlichen Freiberg-Hang stoppen. Wer bisher dort wohnte, gehörte verwaltungstechnisch aufs Rathaus Zuffenhausen und das neue Hochhaus am "Hörnle" steht ebenfalls ganz auf Zazenhäuser Markung. Der übrige Freiberg aber orientiert sich nach Mühlhausen, und so wird wohl alles was zu Freiberg räumlich gehört, in Zukunft in die Markung Mühlhausen im Laufe dieses Jahres umgruppiert werden.

Ohnehin ist die Verbindung Freiberg mit Zazenhausen nicht sehr rege, allein schon wegen der Verkehrsverbindung, die aus einem schmalen Sträßle, der "Himmelsleiter", und einer Treppe zur Straßenbahnhaltestelle besteht.

Dabei ist Zazenhausen der liebenswerteste Stadtteil im Norden Stuttgarts, wenn man ihn nur näher und besser kennt. Es gibt genügend Kindergartenplätze, und wenn auch der junge Pfarrer seiner Gemeinde das Evangelium ein wenig reformerisch predigt, so gibt er damit doch immerhin Denkanstöße für den ein oder anderen. Es gibt eine fleißige freiwillige Feuerwehr mit einer neuen Spritze, eine Filiale der Zuffenhäuser Volksbank hat die Zazenhäuser Bauernbank übernommen, und wer im Ort herumgeht, dem würde da und dort schon ein Plätzle für ein eigenes Haus gefallen. Leider spielt hier das Planungsamt Stuttgart gar nicht mit, das keinerlei Rücksicht auf die gewachsene und sich organisch und harmonisch gebildete Ortschaft nimmt.

Dabei findet man am Entenweg, in eine Mauer eingelassen, den ehemaligen Schlußstein der 1969 abgebrochenen Mühle aus dem Jahre 1770, auf dem zwei Löwen das Wappenschild mit Mühlrad und Haue halten, und wenn in Zazenhausen ein Fest gefeiert wird, dann ist das so wie man es unter Schwaben tut: mit Fahnen der Vereine und der Feuerwehr und mit dem Maß an Herzlichkeit, das man nur noch dort findet, wo jeder jeden kennt und wo der Verkehr nicht jeglichen Kontakt zerreißt. Nicht einmal einen Zebrastreifen gibt es in Zazenhausen, und als ein paar Witzbolde neulich einen privaten aufgemalt hatten, überpinselte ihn das Tiefbauamt am nächsten Tag schnellstens wieder. Er war auch unnötig, denn in Zazenhausen, da ist die Welt (fast) noch in Ordnung.


Alt und Neu direkt miteinander konfrontiert: Zazenhausen. Der alte Stadtteil
(vorne) steht im wahrsten Sinne des Wortes im Schatten des jungen Freiberg.

Zeitungsartikel von R. Heinz, Dezember (?) 1974

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