Quer durch Europa „auf der Flucht zu sich selbst"

Profile: Steffen Grabenhof aus Zazenhausen war 9687 Kilometer vom Nordkap bis nach Gibraltar unterwegs

Steffen Grabenhof braucht viel freien Raum um sich. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass er als gelernter Raum-ausstatter meist von Wänden umgeben war. Im vergangenen Jahr ist er quer durch die USA geradelt, jetzt hat der 25-Jährige auf dem Rad Europa vom Nordkap bis Gibraltar durchquert.

STUTTGART. Bequem hat sich Steffen Grabenhof in der elterlichen Wohnung in Freiberg aufs Sofa gefläzt. Er freut sich, dass ihn heute die Oma bekochen wird und er nicht schon wieder Nudeln aus dem Topf überm Lagerfeuer löffeln muss. Nach 124 Tagen und 9687 Kilometern durch Europa atmet Steffen durch. Die Füße sind hochgelagert. „Die Tour war für mich Flucht zu mir selbst und Orientierungsphase zugleich."
Jetzt ist die Entscheidung gefallen. Sein Studium im Fach Produktionsdesign in Köln wird der junge Mann nach drei Semestern abbrechen. „Ich weiß jetzt, was mich glücklich macht", sagt Steffen: „Das sind Abenteuer und Fahrradtouren."
Im vergangenen Jahr ist er schon einmal auf große Tour gegangen. Damals durchquerte er die Vereinigten Staaten von Ost nach West. Zwischen New Jersey und San Francisco lagen 6500 Kilometer, 13 Bundesstaaten und ein strikter Zeitplan. Nach 86 Tagen war der Radler gerade noch rechtzeitig am Ziel. Denn das Touristenvisum hatte nur eine Gültigkeit von 90 Tagen.
Da ist eine Radtour quer durchs alte Europa richtig stressfrei und gemütlich, möchte man meinen. Doch weit gefehlt. Denn die Fahrt sollte wirklich vom nördlichsten Punkt Europas starten und ohne unerlaubte Hilfsmittel wie Fähre, Auto oder Zug bis zum südlichsten Punkt führen.

Die Radtour beginnt mit einer Wanderung über drei Firneisfelder

Gemäß diesen selbst gewählten Kriterien startet Steffen natürlich nicht vom großen Parkplatz in Nordnorwegen aus, der den Bustouristen als Nordkap vorgegaukelt wird. Um wirklich am nördlichsten Punkt Norwegens sein Mountainbike in die kalten Fluten der Barentssee zu tauchen, muss Steffen sein Rad auf dem Buckel nehmen und am 11. Juni zunächst drei Firneisfelder überqueren. „Nur gut, dass der Kilometerzähler, der mit Satellitenortung arbeitet, diese Strecke mitgezählt hat."
Fragt sich nur, ob der Satellitenempfang auch am reiten Tag funktioniert. Da muss Steffen tief unter die Meeresoberfläche abtauchen. „Sieben Kilometer Nordkaptunnel, das war die Hölle." Mühsam kämpft sich der Radler von Notfalllicht zu Notfalllicht, während die Campmobile mit Höllentempo an ihm vorbeirasten.
In Finnland stellen sich dem Radler gleich zwei Hindernisse in den Weg. Weil ein Nationalpark in Lappland nur von Wanderern betreten werden darf, muss Steffen sein Rad als Gepäck vorausschicken und 55 Kilometer marschieren. Ähnlich problematisch stellt sich die Überquerung des Hanhivirta-Sees in Finnland dar. An der engsten Stelle des Gewässers verbindet eine Fähre die nur 150 Meter entfernten Ufer. Der Plan, das Rad mit dem Boot zu schicken und selbst zu schwimmen, scheitert kläglich. „Erstens bin ich kein guter Schwimmer, zweites war das Wasser eiskalt", erinnert sich Steffen. Nach 30 Metern muss er umdrehen. „Das war echt peinlich." Die Folge: ein kleiner Umweg auf dem Rad von 60 Kilometern.

Am Ende summieren sich alle Pässe und Steigungen auf 134.230 Höhenmeter

Vor der Einreise nach Russland ist Steffen mehr als nervös. „Alle hatten mich gewarnt, dort allein mit dem Rad zu fahren." Bereits am ersten Tag geht alles schief. Der Reifen ist zerfetzt, die Luftpumpe defekt. Auf einem Waldweg schiebend bricht die Nacht herein. Zwar heulten keine Wölfe, „aber die Angst wuchs". Als Steffen an die Tür einer einsamen Hütte klopft, erlebt er ein kleines Wunder. „Ich wurde freundlich empfangen und durfte im Garten zelten", berichtet der Radler. „Am Morgen brachte mir die Babuschka sogar ein Frühstück."
Die Hohe Tatra überquert Steffen schiebend auf Wanderwegen und teilweise sogar kletternd. „Jeder Berg war ein Erfolgserlebnis, der mich glücklich machte." Keinen Pass in den slowenischen, italienischen und französischen Alpen will Steffen auslassen. Und bevor er auf ähnliche Weise die Pyrenäen überquert, muss er natürlich in Südfrankreich auch den Mont Ventoux bezwingen. „Der heftige Wind dort oben hat mich samt Rad sogar einmal ins Kiesbett geblasen." Am Ende zeigt der Höhenmesser 134.230 bewältigte Höhenmeter.
Als Steffen am 12. Oktober das Vorderrad seines Mountainbikes im spanischen Tarifa in den Atlantik taucht, geistern ihm bereits neue Pläne im Kopf herum. „Mein Traum ist es, im Winter zu arbeiten, um im Sommer wieder eine Tour machen zu können."
Zunächst aber muss Steffen jobben, um seinen Eltern 5000 Euro Schulden für die Europatour zurückzuzahlen.


Nordkap, 11. Juni 2012: Eiskalter Start für Steffen Grabenhof (Fotos: privat)


StN-Grafik: Lange


Tarifa, 12. Oktober 2012: Der südlichste Punkt des europäischen Festlands ist erreicht

Kontakt und weitere Infos

Steffen Grabenhof
www.stevencrosseseurope.de

Zeitungsartikel von Klaus Eichmüller
aus "Stuttgarter Nachrichten/S-Presso", vom 30. Oktober 2012
www.stuttgarter-nachrichten.de
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