Das vergessene Dorf

Zazenhausen fühlt sich "hinter dem Z"

Die Zuffenhäuser sagen von sich, wenn sie unzufrieden sind: "Ha, wir sind halt immer ganz hinten am Z". Es gibt aber noch einen weiteren Stuttgarter Stadtteil, der zwar auch mit Z beginnt, aber dieses rangiert nach Meinung seiner Bürger noch hinter dem Z. Das ist Zazenhausen.

Wer es besucht, findet ein idyllisches Plätzchen schwäbischen Landes mit einer hübschen alten Kirche, Bauernhäusern mit Fachwerkgiebel und einem alten Dorfbrunnen, in dem sommers Blumen wachsen.

Doch die Idylle trügt. Die Zazenhäuser sagen von sich selbst: wir sind das vergessene Dorf, in Anlehnung an einen bekannten Roman. Neulich haben sich einige von ihnen ebenfalls literarisch betätigt und ein kleines Bändchen zusammengeschrieben, das aber nur in einer Auflage von drei Exemplaren erschienen ist. Es trägt den bezeichnenden Titel "Das vergessene Dorf". Und zwischen den handgeschriebenem Seiten findet man all den Jammer, der diesen Stadtteil Zazenhausen plagt. Da ist die Rede zwar, daß es 788 schon ein Zazenhausen gab, also schon vor Stuttgart und Zuffenhausen. Der Charakter blieb bis in die sechziger Jahre dieses Jahrhunderts. Da meinte man, es gehe Berg auf, den droben im Freiberg wuchsen Häuser en masse aus dem Boden auf den Äckern der Zazenhäuser Bauern. "Man nahm unsere Äcker und schob dann als Dank, unsere Sorgen auf eine ganz lange Bank", reimten die Zazenhäuser Autoren recht niedergeschlagen. Und in der Tat: es drückt sie einiges. Über den alten Eisenbahnviadukt donnern tagaus tagein die Züge und belästigen die Ohren. Ein wüscht anzusehendes Umspannwerk ist die einzige Zierde der Neuzeit. Im einstigen Bach, dem Bisachgraben, tummeln sich Ratten anstatt Bieber. Die Schule hat nur noch eine Klasse, das Postamt ist geschlossen und hat nur noch stundenweise Behelfsdienst. Nach Zazenhausen fährt keine Straßenbahn, und eine Omnibuslinie dient in erster Linie dem Berufsverkehr und fährt sonntags nie. Und wenn einer einmal aufmuckt und frägt, wie es denn weiter gehen soll, erfährt er nur Kanzleitröste. Das ist der ganze Jammer des Ortes, der aus diesem Büchlein spricht.

Und dabei gehören die Zazenhäuser, was ihre bürgerliche Initiativen anbelangt, zu den aktivsten. Als es darum ging, am Haltepunkt des Busses eine Wartehalle zu erstellen, da stießen sie zwar erst einmal auf allerlei Schwierigkeiten, die sogar den Denkmalwert der Kirche ins Spiel brachten, die hundert Meter weit entfernt ist, und weshalb man keine der sonst üblichen mit Reklame finanzierten Wartehallen erstellen dürfte. Doch die Zazenhäuser wussten einen Ausweg. Sie sammelten unter sich 500 Mark, genau so viel gab der OB dazu und noch einige hundert der Omnibusunternehmer und so wurde die Wartehalle halt jetzt doch gebaut. Da ließen sie sich nicht unterkriegen. Beinahe wäre auch das noch schief gegangen, denn zur Auflage wurde gemacht, daß die Wartehalle auch eine Dachrinne haben müsse und daß des Winters für die Beseitigung des Glatteises gesorgt werden müsse. Dafür sprang dann das Tiefbauamt ein. Doch die Wartehalle blieb bisher der einzige Erfolg in allem Bemühen.

Und so endet denn auch das selbstgeschriebene und -verfasste Dokument über Zazenhausen mit dem schwäbisch-knitzen Vorschlag: "Ihr macht was - das sieht man - da sagen wir nix, es geht sogar zügig vom A bis zum X, doch dann seid Ihr müde - wie könnt's anders sein - bei unserem Z, da schlaft ihr dann ein. Drum mein ich: Es wäre wohl gar nicht so dumm, dreht man das Ganze doch ruhig einmal um. Die ganze Welt ist doch verdreht, warum nicht mal das Alphabet? Lernt von der Kirche - in Gottes Namen - dort kommt erst das Gebet - zum Schluss das A...men!"

Zeitungsartikel von rh, 1972

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